Wartburg Coburgia

Altherrenschaft

Der Verlust des Hauses in der Bürgerstraße 5 im Jahre 1993 - bedingt durch die Kündigung des Vermieters wegen Eigenbedarfs - drohte unsere Verbindung Wartburg-Coburgia in eine Existenzkrise zu stürzen. Jedoch gelang es Bundesbruder Manfred Elshoff, mit der ihm eigenen Energie und viel Gespür nahezu zeitgleich ein neues Domizil, unser jetziges Verbindungshaus in der Keplerstraße 7, zu finden. Er gewann nicht nur die Eheleute Schügl, unsere langjährigen Couleurartikel-Lieferanten aus der Weender Straße, uns das Haus zu verkaufen, sondern überzeugte auch noch fünf Bundesbrüder, mit ihm zusammen das Objekt zu erwerben und es für die Vermietung an Studenten sowie für unsere Verbindungszwecke herzurichten.

Entscheidend für das bald wieder einsetzende Erstarken der Aktivitas war neben dem unermüdlichen Einsatz von Manfred Elshoff der Umstand, dass das Haus mit seinen zehn Studentenzimmern nicht nur einen Beitrag zur Linderung der Budennot in Göttingen leistete, sondern auch den willkommenen Kontakt zu jungen Studenten der Georgia Augusta gewährleistete. Dies gilt bis heute unverändert fort.

Die als „Grundstückseigentümergesellschaft Keplerstraße 7“ (eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts) ursprünglich zusammengetretenen sechs Bundesbrüder – inzwischen sind es zehn – vermieteten das Haus an den bald danach gegründeten Verein “Evangelisches Studentenheim Wartburg Haus e.V.“. Dieser vermietete die Zimmer an junge Erstsemester der Georg August Universität und an unsere Altherrenschaft zur Mitbenutzung der Gemeinschaftsräume im Rahmen unserer Semesterveranstaltungen. Dies hat sich bisher als eine glückliche Symbiose erwiesen.

Zuverlässig und erfolgreich führte der langjährige Vorsitzende dieses Vereins, Bundesbruder Dietmar Berger, die Geschicke des Hauses im geregelten Zusammenwirken mit dem gemeinnützigen „Verband für Studentenwohnheime e.V.“ in Bonn.

Anlässlich des Stiftungsfestes 2003 beschloss der General-Convent der Verbindung am 31. Mai 2003 die Gründung eines kartell-offenen Vereins, die „Vereinigung Alter Wartburgen e.V.“. Er bemühte sich erfolgreich um seine Gemeinnützigkeit im Sinne der Abgabenordnung. Das erhöhte die Spendenbereitschaft und ersparte die umständlichen Spendenzuläufe über den Bonner Verband. Seit dem 1.1.2004 ist die Vereinigung Alter Wartburgen, vertreten durch den Vorstand, die Bundesbrüder Arndt Leeke und Jörg Mahlmann, mit allen Rechten und Pflichten in den Mietvertrag zwischen der Grundstückseigentümergesellschaft und dem Verein Evangelisches Studentenheim Wartburg Haus eingetreten.

Aus den Mieteinnahmen für die Studentenzimmer und aus dem Spendenaufkommen kann die Vereinigung Alter Wartburgen an die Grundstückeigentümergesellschaft die seit 1993 unverändert gebliebene Miete entrichten, die zusammen mit den monatlichen Leistungen der zehn Gesellschafter zur Rückzahlung des Hypothekendarlehns für den Erwerb und die Herrichtung des Hauses dient. Aufgrund der lückenlosen Vermietung der Studentenzimmer, vor allem aber wegen des starken Zusammenhalts der Altherrenschaften der Wartburg-Coburgia und des Wartburg Kartells, wie er sich auch in der großzügigen Beitrags- und Spendenbereitschaft zeigt, scheint es bis auf weiteres gesichert, das Verbindungshaus halten zu .können. Jedoch wird uns der Hauskredit bei der Bank noch bis in das Jahr 2013 begleiten und solange unsere freien Mittel für die Ausgestaltung des Bundeslebens sehr begrenzen.

Es ist mir ein Anliegen, allen Beteiligten für ihre zeitlichen wie finanziellen Opfer herzlich zu danken. Wir sind uns allerdings auch einig in der Feststellung, dass eine studentische Verbindung ohne einen Lebensmittelpunkt in Gestalt eines Hauses kaum noch eine Zukunft haben kann. Deshalb kann ich nur herzlich bitten, die Beitrags- und Spendenbereitschaft beizubehalten.

Aus dem Kreis der Alten Herren ist in letzter Zeit häufiger der Wunsch laut geworden, bereits zu Lebzeiten durch eine größere Spende, spätestens aber mit dem Tode durch ein Vermächtnis einer gemeinnützigen Wartburg-Institution Vermögen übertragen zu können. Mit diesen Mitteln solle dann zu gegebener Zeit die Vereinigung Alter Wartburgen in der Weise gefördert werden, dass Eigentumsanteile an dem Haus erworben werden können. So könne und solle eine sichtbare und bleibende Erinnerung auch an die Spendenden geschaffen werden. Das zuständige Finanzamt Göttingen hat auf eine entsprechende Voranfrage – gleichgültig, ob Stiftung oder Verein - vor kurzem bereits grundsätzliche Zustimmung signalisiert.

Fazit: Mit ihrer gegenwärtigen Organisation hat sich unsere Wartburg-Coburgia gut aufgestellt; ihre finanzielle Basis ist auf Sicht stabil und scheint langfristig auf gutem Wege zu sein.

Ist die Verbindung aber auch in ihrem inneren Gefüge stabil? Ich sage mit Überzeugung „ja“! Zugegebenermaßen ist das die aktuelle Sicht eines wohlmeinenden, subjektiven „Insiders“.

Keineswegs sind studentische Verbindungen wie die unsrige überlebt und nicht etwa überflüssig geworden. Sie müssten gegründet werden, wenn es sie nicht schon gäbe. Die Wartburg-Coburgia führt ihr eigenes Leben, aber sie lebt auch in der Gemeinschaft mit einer Reihe befreundeter Göttinger Verbindungen.

Unsere Aktivitas hat in Göttingen seit langem einen guten Ruf, auf dessen Pflege ist sie bedacht. Er fördert auch den starken Zulauf junger Studenten. Seit Jahren nahezu gleichbleibend bilden etwa zwanzig Studenten die Aktivitas, die in ihrer Zusammensetzung aus Aktiven, Inaktiven und Füxen ausgewogen ist. Das Leben in der Gemeinschaft auf dem Haus wirkt der universitären Anonymität entgegen, es hilft bei der Sozialisation junger Menschen, es übt sie ein in Freiheit und Verantwortung, gibt ihnen Gelegenheit, sich in freier Rede und in der Übernahme von Führungsaufgaben zu üben; der Bund fördert die studentische Gemeinschaft über die Grenzen der Fakultäten hinweg, er pflegt im Zusammenwirken mit den Alten Herren das offene, generationsübergreifende Gespräch. Die Aktiven stehen sich mit Rat und Tat bei, oft sind auch die Alten Herren gefragt. Die Verbindung vermittelt Orientierung im sich wandelnden Wertegefüge und bietet den Rahmen zur Gründung lebenslanger Freundschaften, sie schafft mit Vorträgen und Diskussionen in Gestalt der Wissenschaften willkommene Lehr- und Lernfelder. Bei allem kommt die freie und fröhliche studentische Geselligkeit nicht zu kurz, doch erschöpft sich die Standfestigkeit der Bundesbrüder nicht in ihrer Trinkfestigkeit, sondern eher in der Kraft, Maß zu halten. – Die Existenzberechtigung, besser: Sinn und Aufgabe unserer Verbindung ließen sich durch noch vieles mehr begründen.

Die Verbindung hat ihre tradierte Satzung, die für Aktivitas wie für Altherrenschaft gemeinsam gilt, vor drei Jahren aktualisiert. In ihr bezieht sich die Wartburg-Coburgia auf den im Jahre 1880 gegründeten Studentenverein Concordia, später Coburgia, steht aber im Gegensatz zu früher nicht nur den Theologiestudenten, sondern Studierenden aller Fakultäten offen. Sie macht sich die Zielsetzung des im Jahre 1925 gegründeten Wartburg-Kartells zu eigen. Ohne einer innerkirchlichen Richtung anzugehören, bekennt sich die Wartburg-Coburgia zur Freiheit der Wissenschaften und zum evangelischen Christentum. Nach der aktualisierten Satzung können in begründeten Sonderfällen auch nicht evangelisch getaufte Studenten aufgenommen werden, dennoch bleibt unsere Wartburg-Coburgia die evangelische studentische Verbindung, zumindest in Göttingen. Wir verstehen uns gewiss nicht als „Missionswerk“, wollen uns aber zur freien geistlich-kulturellen Orientierung mit dem christlichen Glauben und seinen Grundlagen auseinandersetzen. Religiöse Bildung bedeutet für uns das persönliche Erfassen dessen, was den Kern des Christentums, die christliche Nächstenliebe und die Gnade Gottes, ausmacht. Es gilt, der Entchristlichung in uns selbst und in unserer Umgebung entgegenzuwirken. - Beschränkungen in der Nationalität gibt es nicht. Auf die in toto abgedruckte Satzung in der Fassung vom 13.Juni 2002 am Ende dieser Schrift möchte ich hinweisen. – Freilich, die gedruckte Satzung allein macht es noch nicht, sie ist aber auch im täglichen Verbindungsleben die geistige Grundlage und wird für jeden Einzelnen von uns durch den zeitlosen Wahlspruch „fidei, studiis, amicitiae“ konkretisiert. Von ihm fühlt sich auch die heutige Generation offenbar angezogen. Kurzum: Unsere Verbindung ist nicht nur lebensfähig, sie ist auch lebenstüchtig, sie steht auf gutem Grund und nimmt ihre Aufgabe in Göttingen, in der Nähe zur Georg August Universität richtig wahr.

Studentische Herausforderungen, wie es sie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegeben hat, erkenne ich gegenwärtig nicht. Die bürgerlich demokratisch verfasste Gesellschaft ist etabliert. Um den Europa-Gedanken neu zu beleben und seine Realisierung voranzutreiben, fehlt es nach meiner Erkenntnis an notwendigen Gemeinsamkeiten unter den deutschen wie den europäischen Studenten; erst recht gilt das für globale Ansätze.

Was wir aber als gelebtes Christentum in unserer Verbindung tun können, ist, in unserem Einflussbereich alle Kraft für ein besseres Zusammenleben, für mehr Mitmenschlichkeit, für mehr Zuwendung an unseren Nächsten einzusetzen. In diesem Sinne lasst uns alle aktiv sein und bleiben. Gott helfe uns dabei.

Hinrich Wöckener

Altherren-Präses im Sommersemester 2005