Wartburg Coburgia

Aktivitas

Was ist die Aktivitas?

In der heutigen Zeit genießen Verbindungen in der Öffentlichkeit und gerade auch bei vielen Kommilitonen einen eher schlechten Ruf. Verbindungen werden vielfach mit einem einheitlichen Vorurteil belastet und teilweise sogar als reaktionäre, elitäre, frauen- und ausländerfeindliche Zusammenschlüsse betrachtet, deren Mitglieder sich gegenseitig Posten "zuschieben", ohne daß die Begünstigten dieser Art Zuwendung sich hierfür qualifiziert haben.

Soviel zu den leider immer noch vorherrschenden Einschätzungen. - Natürlich mag es stimmen, daß einige Korporationen durchaus ein elitäres Gehabe pflegen, denn nicht jedes Vorurteil muß immer ganz aus der Luft gegriffen sein. Auch kann man manch einen Verbindungsstudenten auf dem Campus allein schon an seinem äußeren Erscheinungsbild und Auftreten erkennen. Leider gibt es immer auch solche, die den negativen Klischees entsprechen und dazu beitragen, daß diese noch verstärkt werden.

Doch welche Ausnahme bildet da unser Bund: Wir haben das außerordentliche Glück, daß sich Studenten aller Fakultäten und unterschiedlichster Herkunft bei uns wohlfühlen und somit dazu beitragen, daß wir eben nicht dem Bild entsprechen, das viele von "den" Verbindungsstudenten haben. Wir lassen uns nicht in irgendein Schema pressen, sondern präsentieren uns als ein Bund voller eigenständiger Individuen, die trotz aller Unterschiede fest zusammenhalten. Ein Faktor, der dazu beigetragen haben mag, daß sich unser Bund so darstellt, ist die Tatsache, daß wir in beinahe jedem Semester ein oder mehrere Zimmer unseres Hauses an Studenten vermieten, die nicht unserem Bund angehören und häufig erst ihr Studium in Göttingen beginnen. Diese Studenten bekommen hierdurch Gelegenheit, Verbindungsleben selbst zu erleben und, so sie Interesse daran haben, Teil unserer Gemeinschaft zu werden, indem sie sich aktivmelden. Auf diese Weise haben wir über die Jahre viele Bundesbrüder gewonnen, die anfänglich überhaupt nicht wußten, was es mit studentischen Korporationen auf sich hat und sich trotzdem oder vielleicht auch grade deswegen zu wichtigen Stützen unseres Bundes entwickelt haben. Manchmal sind es nämlich die skeptischsten, die später zu den glühendsten Förderern werden.

Die ungebrochene Attraktivität, die unser Bund ausstrahlt, liegt sicher an unseren Prinzipien und vor allem an ihrer unmittelbaren Wirkung in unserem täglichen Zusammenleben. Obgleich wir auch katholische Bundesbrüder haben und solche, die dem christlichen Glauben skeptisch gegenüber stehen, wird doch unser evangelisches Glaubensprinzip gelebt. Dies mag vielleicht nicht sofort offentsichtlich sein, doch basiert das evangelische Glaubensprinzip auf dem Vertrauen in Gott und der eigenen, kritischen Auseinandersetzung mit dem Glauben; es lehnt dabei eine blinde Anhängerschaft an irgendein Dogma ab. Diese offene, aufgeklärte Art des Glaubens zeigt sich in der Unbefangenheit, mit der wir uns, ohne an ein striktes Reglement gebunden zu sein, untereinander austauschen und diskutieren. Obwohl viele Bundesbrüder ganz unterschiedliche Ansichten vertreten, eint uns alle die Toleranz und der gegenseitige Respekt. Dies soll nicht bedeuten, daß wir grundsätzlich nur in Harmonie leben, aber Konflikte, die für ein lebendiges Miteinander gut und wichtig sind, führen durch diese Grundlage eben nicht dazu, daß aus Meinungsverschiedenheiten andauernde Zerwürfnisse werden, sondern die Gemeinschaft durch sie eher noch gestärkt wird.

Es ist auch sehr erfreulich, daß unser Studienprinzip ganz selbstverständlich von unseren Bundesbrüdern gelebt wird, indem sie ihrem Studium mit großem Eifer nachgehen. Natürlich legt der eine oder andere einmal ein Semster ein, in dem er sich dem Studium nicht ganz so stark widmet und sich dafür dann mehr auf das Couleurleben konzentriert und mehr Energien sowohl in die Gestaltung unseres Bundeslebens als auch in das interkorporative Miteinander steckt. Das ist auch mal wichtig, gerade in der Hinsicht, daß bestimmte soziale Kompetenzen nicht aus Büchern, sondern nur in der direkten Erfahrung erlernt werden können.

Keiner der Bundesbrüder setzt seine Prioritäten so, daß sein Studium dauerhaft darunter leidet, auch wenn die Studien der Einzelnen zugegebenermaßen nicht immer gleich hervorragend verlaufen. Vielen Bundesbrüdern gelingt es in geradezu vorbildlicher Weise, sowohl ihren freiwillig übernommenen Verpflichtungen innerhalb unseres Bundes nachkommen, als auch in ihrem Studium erfolgreich zu sein. Auf diese Weise werden Fähigkeiten gewonnen, die anders nur schwerlich zu erlernen wären.

Das Freundschaftsprinzip letztlich bildet eine klare Ausformung und Verwirklichung unseres dauerhaften Zusammenlebens im Bund. In unserer Verbindung bilden wir eine Gemeinschaft von Freunden, die sich gegenseitig respektieren und achten. Dies soll nicht heißen, daß wirklich jeder mit jedem eng befreundet ist. Das wäre schlecht möglich bei einer solchen Vielzahl von unterschiedlichen Charakteren mit so verschiedenen Interessen und Vorlieben. Aber durch den gegenseitigen Respekt und die Achtung, die wir voreinander haben, besitzen wir die Gewißheit, daß wir jedem unserer Bundesbrüder Vertrauen schenken und sicher sein können, daß er uns in einer Notlage beistehen wird. Dies ist es, was unsere gelebte Freundschaft vor allem auszeichnet und was sie als praktizierte christliche Nächstenliebe erscheinen läßt.

Aus diesen Gewißheiten heraus können wir als Aktive die Kraft ziehen, auch weiterhin entschlossen den Vorurteilen gegen Verbindungen entgegenzutreten und sie durch unser praktiziertes Bundesleben zu entkräften. Gleichzeitig können wir aber auch Stärke aus der Sicherheit ziehen, daß wir bei sämtlichen Herausforderungen, die sich uns im Studium und im Leben stellen, auf Rat und Hilfe bauen zu können. Wir gewinnen Mut und die Gewißheit, erfolgreich sein zu können.

Die Alten Herren, Inaktive, Freunde und Förderer unseres Bundes können daraus die Genugtuung schöpfen, daß unser Bund nach 125 Jahren auch weiterhin blühen, wachsen und gedeihen wird und daß die Prinzipien, denen sie sich bereits verpflichteten, auch weiterhin lebendig und in Ehren gehalten werden.

Marc Schellworth

Senior im Sommersemester 2005